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Das Recht der Lauteren

Culture

Das Recht der Lauteren

Mitte der 70er waren weibliche Skate-Pros ganz normal. Erst um 1980 wurde Skateboarding eine Jungskultur. Was das mit dem US-Versicherungssystem zu tun hatte – und wie wir das ändern sollten.

Skateboard-Bücher aus den 1970ern sind heute erzkomisch. Checkt „Sport und Spaß mit dem Rollerbrett“ von Fritz Klein und Ben Davidson oder „Skateboard fahren für Anfänger und Fortgeschrittene“ von Hannes Stauder, Ursula Franke und Karl-Heinz Magnus! Da steht etwa, der „nächste Verwandte“ des damals neuen Skateboardfahrens sei gerade nicht, was man jetzt denkt – sondern Ski Alpin. Im Nachhinein fällt aber noch etwas anderes auf: Das Cover des Massenmarkttitels „Sport und Spaß mit dem Rollerbrett“ zeigt eine Frau. Und auch auf den Bildern in „Skateboard fahren für Anfänger und Fortgeschrittene“ ist das Geschlechterverhältnis fast ausgeglichen.

 

WIE IN DEN 80ERN DIE FRAUEN AUS DEM SKATEBOARDING VERSCHWANDEN:

 

Das war einmal selbstverständlich. In den USA ließ CBS 1976 in der Gameshow „Challenge oft the Sexes“ den Skateboarder Ernie Martin gegen Robin Logan antreten – und letztere gewann. Patti McGee, Peggy Oki, Ellen Berryman, Wendy Bearer Bull, Ellen Oneal, Laurie Turner Demott, die Liste ist unendlich: Mitte der 1970er waren weibliche Top-Pros nichts Besonderes. Die größte Show aller Zeiten wurde auch von einer Frau gefahren: Laura Thornhill-Caswell skatete 1977 auf dem Festival „Cal Jam II“ vor rund 350.000 Leuten eine Art Halfpipe. In ihrem Buch „The History of Women in Skateboarding“ nennt Natalie Porter diese Jahre die „goldene Ära der weiblichen Beteiligung“.

Doch plötzlich ändert sich das. Wer Skatemags der 1980er durchgeht – ob Transworld, Thrasher oder Monster –, wird kaum noch Frauen finden. Und wenn, dann höchstens als Streetwear-Models. Was ist um 1980 passiert?

Natalie Porter macht eine spezielle „Punk-Mentalität“ für das plötzliche Verschwinden der Frauen verantwortlich. Die habe Skateboarding um 1980 in einen „Männlichkeitsbeweis“ verwandelt. Sie zitiert den Skateboard-Funktionär Don Bostick: „The guys sort of machoed them out of the way“. Tatsächlich greifen zu dieser Zeit neue Sitten um sich. Abwertend ist von „Pussies“, „Betties“ und auch „Gays“ die Rede, Style wird auf wie neben dem Brett als „Aggression“ buchstabiert. Toxische Männlichkeit, würde man heute sagen. Sind aber die männlichen Skater plötzlich Kotzbrocken geworden, einfach so? Weil sie zu viel Punk gehört haben? Wenn sich das Mindset einer Gruppe verschiebt, lohnt immer die Frage, wie sich die Bedingungen dessen verändert haben, was diese Gruppe definiert – hier also des Skateboardfahrens. Und dabei finden sich oft überraschende Faktoren: Dieses weitgehende Verschwinden der Frauen ist auch ein Effekt des US-Versicherungsrechts. Steile These. Wie das?

In den Skatemags der ersten Generation lässt sich nacherleben, wie in den späteren 1970ern Panik aufkommt. Für Skateparks lassen sich wegen seiner angeblichen Gefährlichkeit keine Haftpflichtversicherungen mehr finden. Und ohne ist das Betreiben eines Skatepark ein enormes Risiko, vor allem wegen der Möglichkeit teurer Sammelklagen, die es in Europa so nicht gibt. In seinem Buch über Skateparks nennt das der Architekturprofessor Iain Borden die „liability crisis“. Und wirklich machen zwischen 1979 und 1981 fast alle der Skateparks dicht, die seit Mitte der 1970er entstanden waren. Aber was hat das mit dem Verschwinden der Frauen zu tun?

Ohne Skateparks findet Skateboarding – ob Street, das deswegen überhaupt entsteht oder Vert in Backyard Pools – ganz woanders statt. Dass man sich nun auf eigene Faust Spots sucht und die Städte dabei zweckentfremdet, hat etwas sehr Demokratisches. Doch begünstigen diese inoffiziellen, unregulierten, oft verbotenen Orte auch ein anderes Verhalten: eine Art Faustrecht, ein Recht der Lauteren, eine Jungskultur der Mutproben und groben Späße. “If one kid can’t cope, then he gets tortured”, blickt Lance Moutain in Sean Mortimers Buch “Stalefish” zurück: “There was a kid, Mark Poots, who was duct-taped up, put in a trash can, dropped into the pool and left there, and that was fine.”

„IN DEN BACKYARD POOLS HERRSCHTE EINE ART FAUSTRECHT DER HARTEN JUNGS.“

 

Und auch der Sportsoziologe Robert Rhineheart fühlt sich in einem Text über Männlichkeit im Skateboarding an William Goldings berühmten Roman erinnert. Darin muss eine Gruppe Jugendlicher auf einer einsamen Insel zurechtkommen. Eigentlich paradiesisch, doch geraten besonders die Jungs in harte Kämpfe um Land, Macht und Ansehen. So ähnlich könnte es auf den einsamen Inseln gelaufen sein, auf denen sich die Skateboard-Szene um 1980 nach dem plötzlichen Aus für die Skateparks wiederfindet. Einerseits fehlt die Welt der Erwachsenen als Instanz, die ein solches Ellenbogenverhalten regulieren würde. Andererseits stammen dessen Motive ja selbst aus dieser Erwachsenenwelt, aus der die Jugendlichen im Roman wie die Skateboard-Kids an ihren „gefundenen“ Spots herausgefallen sind. Die berühmten „Lords of Dogtown“ waren sozusagen auch Herren der Fliegen.

Natürlich behaupten sich auch Frauen auf diesen einsamen Inseln, zum Beispiel Peggy Oki aus der Dogtown-Gang um Tony Alva und Jay Adams – der als notorischer Gay-Basher ja auch die üble Seite dieser Kultur des „Hardcore-Skateboarding“ verkörperte. Aber im Allgemeinen ist wohl klar, dass sich an Orten, die solche Testosteron-Bräuche begünstigen, herkömmlich sozialisierte Jungs wohler fühlen. Zudem sind illegale Skate-Spots oft genau die Art von Locations, die vielen Mädchen und Frauen aus Gründen suspekt sind: unüberwachte Stellen in der Stadt, Ruinengrundstücke, Parkhäuser in den Abendstunden. Und schließlich ist genau die Art von Regelverletzung, die solche Orte erfordern, geradezu typisch für das Risikoverhalten heranwachsender junger Männer, bis hin zum Räuber-undGendarm-Spiel mit echten Polizisten.

STIMMT NUN DIE THESE, DIE VERMÄNNLICHUNG VON SKATEBOARDING UM 1980 HABE MIT DEM VERSCHWINDEN DER SKATEPARKS ZU TUN, AUCH IN DER UMKEHRPROBE?

Eine 2009 erschienene soziologische Untersuchung von Michael Atencio, Becky Beal und Charlene Wilson untermauert das: Zumindest zu diesem Zeitpunkt bevorzugten Skaterinnen in Umfragen mehrheitlich legitime Orte wie Skateparks. Es ist insofern vielleicht kein Zufall, dass – mit der prominenten Ausnahme Elissa Steamer – um 2000 die erste weibliche Pro-Generation seit den Tagen von Laura Thornhill-Caswell vor allem Rampen und nicht etwa Real Street fährt: Lyn-Z Hawkings Pastrana zum Beispiel oder Julie Kindstrand Nelson, über die man beim Thema Skateboarding und Gender aus traurigem Grund einen eigenen Artikel schreiben müsste. Stimmt nun die These, die Vermännlichung von Skateboarding um 1980 habe mit dem Verschwinden der Skateparks zu tun, auch in der Umkehrprobe? Sicher gibt es auch in Skateparks geschlechtliche Stereotype. Wer kein Typ ist, bekommt oft das Gefühl, sich besonders „beweisen“ zu müssen. Das in jüngerer Zeit unübersehbare Anwachsen weiblicher und queerer Beteiligung am Skateboarding hat viele Gründe, etwa ein wachsendes Selbstbewusstsein der Betroffenen und eine gesamtgesellschaftliche Tabuisierung eines unref lektierten Machismo. Doch fällt der um etwa 2000 einsetzende zweite Skatepark-Boom – in den USA ermöglicht durch versicherungsrechtliche Reformen bei „hazardous sports“ – zumindest zeitlich damit zusammen.

 

Die Zeit zwischen dem Ende der Skateparks um 1980 und ihrer Rückkehr um 2000 war die kreativste Phase im Skateboarding überhaupt. Alles, was heute – nur härter und größer – auf Skateboards gemacht wird, ist in diesen Jahren entstanden. Nichts gegen Slalom, Vor-Ollie-Freestyle und Hochsprung, aber zu den Zeiten von „Sport und Spaß mit dem Rollerbrett“ will niemand zurück. Dass uns eine Frau auf dem Cover eines Skateboard-Buchs aber noch immer bemerkenswert scheint, gehört eben auch zum Erbe dieser wilden Jahre.Wir können das ändern, denn es ist unser Ding.

Lesetipps:

Skateboard. Sport und Spaß mit dem Rollerbrett.
Ben Davidson, Fritz Klein (1976). Oldenburg/Hamburg: Stalling

Skateboard-Fahren. Für Anfänger und Fortgeschrittene.
Hannes Stauder, Ursula Franke, Karl-Heinz Magnus (1977). München: Nymphenburger

Dogtown und X-Games. Die wirkliche Geschichte des Skateboardfahrens
Eckehart Velten Schäfer (2020).Bielefeld: Transcript

The History of Women in Skateboarding.
Natalie Porter (2014). Kindle Edition

Skateboarding, Space and the City. Architecture and the Body
Iain Borden. (2001). Oxford/NewYork: Berg

Stalefish. Skateboard Culture from the Rejects Who Made It
Sean Mortimer (2008). San Francisco: Chronicle Books

The distinction of risk: Urban skateboarding, street habitus and 
the construction of hierarchical gender relations
Michael Atencio, Becky Beal, Charlene Wilson (2009).
In: Qualitative Research in Sport, Exercise and Health 1, 3-20

“Babes” and Boards. Opportunities in New Millennium Sport?
Robert Rhinehart (2005). In: Journal of Sport & Social Issues 29 (3), 232-255

Texte: Velten Schäfer
Illustrationen: Helen Louise Gillert

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