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Skateboarding & Homosexualität – Interview mit Dr. Tatjana Eggeling

In unserer aktuellen Ausgabe behandeln wir ein Thema, das als das letzte große Tabu im Skateboarding gilt: Homosexualität. Jan Wittke hat Eier bewiesen und ist den Schritt gegangen, den vor ihm kaum ein Skateboarder gewagt hat: Er hat öffentlich über seine Homosexualität gesprochen. Wir wollten wissen, warum schwul sein eigentlich für viele so ein großes Problem darstellt und haben uns mit Dr. Tatjana Eggeling unterhalten, einer Expertin zum Thema und Beraterin von Spitzensportlern. (Wer sich mit Fragen an sie wenden möchte, der kann das unter teggeli1@googlemail.com)

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[Interview: Stefan Schwinghammer | Fotos: Oliver Klobes]

Frau Eggeling, Viele vertreten den Standpunkt, über Homosexualität müsse man heutzutage nicht mehr sprechen, das stigmatisiere mehr, als dass es eine emanzipatorische Wirkung hat und außerdem seien Homosexuelle doch eh längst gleichberechtigt. Stimmt das?
Ich finde es wichtig, dass darüber geredet wird! Die Verallgemeinerung, dass jeder Mensch so sein kann wie er ist, ist eine Art Scheinliberalität. Das merkt man daran, dass andauernd über Heterosexualität geredet wird, angefangen von Werbefernsehen über Nachrichten bis zu Biathleten oder Fussballerinnen die gerade geheiratet haben. Heterosexualität wird uns allgemein als Selbstverständlichkeit unter die Nase gehalten, aber über Homosexualität soll lieber nicht gesprochen werden, das sei Privatsache – das ist eine Schieflage, ganz eindeutig. Deshalb scheinliberal – es vermittelt den Eindruck, alles sei in Ordnung, aber letztendlich will dann doch niemand über Homosexuelle in den Sportarten sprechen.

Es heißt immer, die Skateszene sei homophob. Ich persönlich kenne allerdings kaum Skater, die tatsächlich homophob sind oder ist das eventuell ein Fehler in der Bewertung. Was ist Homophobie überhaupt? Ist es schon homophob, wenn man sagt: „Mach den Trick mal nicht so schwul!“
Das muss man differenziert betrachten. Ich sehe da eine gewisse Parallele zum Fußball, wo man auch mal von einem „schwulen Pass“ spricht. Ich glaube nicht, dass solche Aussagen immer so beleidigend gemeint sind, wie sie am Ende aber tatsächlich ankommen können oder dass eine Person, die so etwas sagt, am Ende Schwule und Lesben auch automatisch total scheiße findet. Die Kehrseite allerdings ist, dass der schwule Skater in diesem Moment mit einer solchen Aussage gezeigt bekommt, dass schwul sein ganz klar Mist ist. Durch solche Aussagen findet eine Ausgrenzung statt, die man auf einer persönlichen Ebene als herabsetzend oder herabwürdigend auffassen kann. Zum Beispiel würde bei einem seltsam ausgeführten Trick auch keiner sagen: „Das sieht ja aus wie in Niggertrick“. Das würde sich niemand mehr trauen, weil einfach jeder weiß, dass das eine rassistische Aussage ist, die beleidigend für Menschen mit dunkler Hautfarbe ist. Warum sollte das bei Homosexualität denn anders sein? Mir geht es darum ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was man mit Worten anrichten kann, jenseits der Haltung die man selbst hat. Wenn man aber eine offene und unverkrampfte Haltung im Umgang mit Lesben und Schwulen hat, warum kann man das nicht genauso selbstverständlich offen vertreten wie zum Beispiel, dass man für Tierschutz befürwortet oder Atomkraft ablehnt?

Letztendlich will dann doch niemand über Homosexuelle in den Sportarten sprechen

Sie meinen, es müssten Vereine (oder im Skateboarding die Companies) das Thema aktiv aufgreifen?
Auf jeden Fall! Man sollte versuchen, die Leute aufzufordern, ein bisschen darüber nachzudenken, was sie mit welchen Aussagen wie ausdrücken, und wem sie damit schaden können, wen sie damit verletzen oder ausgrenzen, auch wenn sie es vielleicht gar nicht beabsichtigen.

Würden sie also sagen, in der Skateszene herrscht durch Unbedachtheit eine Atmosphäre vor, die Homosexuelle nicht willkommen heißt?
Betrachten wir doch mal die Skater. Die fangen als Jugendliche an, dann kommt irgendwann das Testosteron und dann will jeder auf einmal ein Kerl sein. Und traditionell ist das ja auch eine Jungen- oder Männersportart. Damit werden dann natürlich auch gewisse Männlichkeitswerte hochgehalten. Wieso sollten die Männer auch großartig darüber nachdenken, was das heißt, so lange ihnen keiner einen Spiegel vorhält und ihnen vielleicht auch mal sagt, dass sie sich mit einem bestimmten „männlichen“ Verhalten auch zum Affen machen, was ja manchmal geschieht. Nicht jeder Auftritt als Mann oder jede Demonstration von Männlichkeit ist notwendigerweise auch gleich lächerlich oder lächerlich zu machen. Aber sowas gehört eben auch dazu. Dieser Sport ist verletzungsträchtig und man benötigt viel Körperbeherrschung, Kraft und Ausdauer. Das ist ähnlich wie in anderen klassischen Männersportarten, z.B. im Fußball. Was man dafür alles mitbringen muss ist mit Männlichkeit verbunden und wird damit assoziiert, und das sind immer noch Leitwerte dieser Sportarten. Dass auch Schwule oder Frauen solche Fähigkeiten haben können, ist für viele kaum vorstellbar. Deshalb passen Schwule für viele nicht ins Bild und Frauen werden misstrauisch betrachtet, wenn sie diese Fähigkeiten zeigen, weil das als „unweiblich“ gilt.

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Ist das der Hauptgrund, warum schwul sein im Skateboarding scheinbar nicht geht?
Na klar, da schlagen die Klischeebilder und Stereotypen zu, an denen ja auch immer etwas Wahres dran ist, die aber auch übermäßige Abgrenzung bedeuten. Männlichkeitsattribute die wichtig sind beim Skaten, werden mit heterosexueller Männlichkeit verbunden. Es gehört einfach zu einem gestandenen Mann, dass er nicht gleich losheult, wenn ihm das Skateboard zwischen die Beine knallt oder wenn er sich ein blaues Schienbein holt. Er ist also nicht zimperlich und hält etwas aus. Er ist ehrgeizig und kampfesmutig, indem er sich beispielsweise über irgendwelche Rails stürzt. Das aber assozieren wir alles mit einer Männlichkeit, die heterosexuell markiert ist. Das geläufige Bild eines Schwulen ist ja eher: weich, zickig, ein bisschen weiblich, also so ein bisschen effeminiert. Er hat keine Kraft ordentlich einen Ball zu treten oder ihn weit zu werfen, deshalb wird der Frisör oder Tänzer. Dass man aber für Eiskunstlaufen oder Tanzen genauso so viele Muskeln, Körperbeherrschung, Leidensfähigkeit und Ausdauer braucht, das interessiert in diesem Moment dann natürlich niemanden. Und so wie es unterschiedliche Skate-Szenen gibt, so gibt es auch unterschiedliche Schwulen-Szenen. Es gibt da auch die harten Kerle, die Bären, die Uniform-Fetischisten, die Bodybuilder und so weiter. Hier hat man es durchaus auch mit harten Männlichkeitsbildern zu tun. Diese Schwulen sitzen eben nicht da, kichern und trinken mit abgespreiztem Finger Café au Lait.

Die Körpersilhouhette der Skater hat sich in den letzten Jahren erheblich verändert. Waren es früher noch Typen mit XXL Klamotten, sehr breit und stämmig, sind mittlerweile vermehrt Pros mit feminineren Körpertypen bekannt geworden. Oft wird dann auch oberkörperfrei geskatet und sich zur Schau gestellt. Aber würde man homoerotische Tendenzen unterstellen, würde das sicher jeder sofort von sich weisen.
Ja, aber diese eigentlich neuen Männlichkeitsbilder stehen nur auf der Basis des guten Glaubens, dass es sich dabei um heterosexuelle Männlichkeit handelt. Im Fußball kann man dieses Phänomen ja auch beobachten, schauen Sie sich heutzutage mal unsere Männernationalmannschaft an. Es gibt viel mehr jungenhafte Typen und eben nicht mehr die harten Brecher, wie das in den 80iger- oder 90iger Jahren der Fall war. Damals hat man der deutschen Nationalmannschaft als Frau nicht so gerne zugesehen. [lacht] Heute ist das ganz anders, wenn man sieht, wie gewandt und elegant sie sich auf dem Rasen bewegen. Ein leichter und agiler Spieler wie etwa Philipp Lahm hätte es in einem solchen Brecher-Team sicherlich viel schwerer gehabt. Sowas funktioniert aber auch nur unter der Maßgabe, dass es sich hierbei um heterosexuelle Männlichkeit handelt. Und genauso ist es im Skateboarding auch. Das Skaten hat ja auch viel damit zu tun sich in Szene zu setzen, also nicht nur die Tricks sportlich gut zu können, sondern sich auch selbst darzustellen. Deshalb auch dieser Mode- und Lebensstilwandel. Daran kann man das ablesen, und dann sagt ein freier Oberkörper auch nichts anderes aus, als dass eine neue Art der Zurschaustellung des eigenen Körpers Einzug gehalten hat. Und Homo-Erotik gibt es dann ja sowieso nicht, der Torjubel ist ja auch überhaupt nicht homoerotisch gemeint, sondern kameradschaftlich. Homoerotisch? Das würde natürlich jeder Fussballer sofort von sich weisen, und genauso würden sicherlich auch schwule Fussballmannschaften von sich weisen, dass es in dieser Situation um Sex und Erotik geht – in diesem Moment geht es nämlich nur um den Sport.

Warum können wir es nicht aushalten, dass da eben jemand eine andere sexuelle Orientierung hat?

Was denken Sie müsste sich im Skateboarding ändern, um Homosexualität akzeptabel zu machen?
Es klingt zwar fürchterlich pädagogisch, aber es ist sehr ernst gemeint: Ein Bewusstseinswandel. Sich mal klarzumachen: Wie gehen wir miteinander um? Was lassen wir zu? Was ist für uns selbstverständlich, was ist für uns aber noch nicht selbstverständllich? Wie soll unsere Sportart sein? Wie steht es um Integrationsfährigkeit und Vielfalt? Im nächsten Schritt stellt sich die Frage, was richten wir damit an, wenn wir es nicht schaffen solche Unterschiede in der sexuellen Orientung mit der selben Offenheit zuzulassen wie beispielsweise Migrationshintergründe oder soziale Unterschiede. Sind wir so wirklich auf der Höhe der Zeit und zukunftsfähig? Nicht alle Skatekids aus Kreuzberg, die zusammen skaten, sind auch gleich Kinder von Hartz 4-Empfängern. Da kann auch mal ein Professorensohn dabei sein. Das können die aber gut aushalten. Warum können wir es dann nicht aushalten, dass da eben jemand eine andere sexuelle Orientierung hat? Die sexuelle Orientierung ist zwar etwas sehr maßgebendes für unser Leben, aber letztendlich ist es nur ein Merkmal unter vielen.

Gerade bei einer sonst so toleranten Szene wie der Skateboardszene sollte man eigentlich meinen, es ist egal, was Zuhause unter der Bettdecke passiert.
Ja eben, und die ist ja auch viel durchlässiger als manch andere Sportszene. Gerade in solchen „Trendsportarten“, ich finde das Wort ja ein bisschen komisch, wie dem Skaten besteht ja die Chance, nochmal etwas aufzuweichen, was beim traditionellen und organisierten Sport viel schwerer ist. Einfach auch, weil Skaten aus einer Szene heraus entstanden ist, und nicht auf einer starrem Organisationsbasis. Und zur Bettdecke: Sexuelle Orientierung, egal welche, ist bedeutsam für unser gesamtes Leben, nicht nur und auch nur zu einem kleinen Teil für das Geschehen unter der Bettdecke.

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Denken Sie, dass die Reaktionen auf ein Coming-Out oftmals überschätzt werden? Im Falle von Thomas Hitzlsperger war das Echo doch auch ziemlich positiv.
Na selbstverständlich gibt es auch negative Reaktionen. Aber oft ist es auch schwierig das ganze Ausmaß der Ablehnung festzustellen. Mittlerweile sind wir in der Diskussion so weit, dass fast alle begriffen haben, dass man sich nicht mehr homophob äußern darf. Aber nur weil sich die Leute heute solche Äußerungen nicht mehr trauen, wissen wir dennoch nicht, wie hoch der Anteil an Leuten ist, die so denken.

Gibt es Daten dazu, inwiefern die Angst vor der Ausgrenzung aufgrund der sexuellen Orientierung, die Leistung beeinflussen kann?
Es gibt leider wenig genaue Erkenntnisse, aber aus aus Gesprächen mit ehemaligen Olympiastartern weiß ich, dass der Leidensdruck unglaublich hoch ist. Das kann in Wettkampfsituationen zu einem akuten Angstzustand führen. Es gibt zumindest Zahlen dazu, dass die Drop-Out Rate von Jugendlichen, also die Tatsache, dass sie Ihren Sport an den Nagel hängen, bei Homosexuellen höher ist als bei Heterosexuellen. Das heißt, da gehen allen Sportarten, auch dem Skaten, verheißungsvolle Talente verloren. Es ist schade, dass die Leute, die diesen Sport lieben, in ihm sehr gut sind und damit vielleicht sogar ihren Lebensunterhalt bestreiten, aufhören müssen. Und da finde ich sind alle anderen drumherum mitverantwortlich ein Klima zu schaffen, in dem sowas nicht mehr vorkommt.

Ein ausführlicher Artikel zum Thema Skateboarding & Homosexualität, findet sich in unserer aktuellen Ausgabe. (Ab Mittwoch im Handel)

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