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Stories

Ein Sturz in das Leben

David Lebuser über seinen Weg zum Rollstuhlskaten und sein gemeinnütziges Projekt SIT'N'SKATE.

28. August 2008: ein harter Sturz. Der Tag, an dem ich mir den Rücken brach und sich mein Leben veränderte, von einer Sekunde auf die andere. Slams sind für Skater*innen normal. Man be­rappelt sich und versucht es weiter. Doch hier war es anders. Gern würde ich erzählen, dass es ein Surfunfall war, ein 15er­ Handrail oder ein Haiangriff. Aber nein, ich wollte nur von einer Party nach Hause. Schon doof, wenn man so angetüdert sein Gleichgewicht verliert, während man auf einem Gelän­der sitzt. Der erste Lendenwirbel war zersplittert. Als ich im Krankenhaus erwachte, war nichts mit wieder aufstehen.

Die Diagnose “Querschnittlähmung“ traf mich hart. Ach du Kacke. Wie soll das weitergehen? Meine Wahrnehmung von Rollstuhlfahrerinnen bestand aus Klischees. Ich hatte in meiner Kleinstadt Frankfurt (Oder) auch keine Berührungspunkte. An der Schule gab es niemand im Rollstuhl – und in der Stadt habe ich nur die wahrgenommen, die meinen Stereotypen entsprachen. Nun lag ich da im Krankenbett, konnte das nicht verarbeiten, nicht weglaufen, nicht klar denken. Also Glotze an! Zu meinem Glück liefen gerade die Paralympics in Peking. Und als ich über die Berichterstattung stolperte, änderte ein Tastendruck auf der Fernbedienung für mich alles.

Mir wurde klar: ICH WUSSTE GAR NICHTS.

Zu sehen waren Rollstuhlbasketball, Rollstuhlrugby und vieles mehr. Das interessierte mich weniger, aber: Da waren Leute in ihren Rollstühlen im Fernsehen und boten rasanten Sport. Was ich über Rollstühle zu wissen glaubte, war Unsinn. Dann zeigte mir mein Kumpel Micha ein Video von Aaron Fotheringham. Auf seinem Rollstuhl machte er Backflips in Woodward. Er drehte sich auf einem Rad und grindete Rails: Mein Leben war nicht vorbei. Es fing neu an. Mit so vielen Möglichkeiten!

An den Rollstuhl gefesselt? Gerade nicht. Der Rollstuhl löste die Fesseln. Nie werde ich vergessen, wie ich versehentlich einen Manual im Krankenhausflur machte. Seitdem übte ich täglich Balancieren, Kantenrunterfahren, Kanten wieder hoch. Dann nahm ich mir Treppen vor. In der Reha in Brandenburg/ Havel lernte ich, vom Boden in den Rollstuhl zu klettern. Als ich das konnte, ging es in den Skatepark Hohenstücken.

Wie besessen fuhr ich auf die erste Quarter zu, die ich finden konnte. Ich versuchte einen Turn und fiel auf die Schnauze. Die Skater*innen vor Ort dachten wohl, ich wolle mich umbringen oder so. Sie waren aufgeregt. Ich aber lag mega­ glücklich auf dem Boden und hatte mein Ding gefunden: Wheelchair Skating!

Seit diesem Tag waren keine Rampe und keine Treppe mehr sicher vor mir. Leider machte mein damaliger Rollstuhl das alles nicht mit. Zum Ärger der Krankenkasse war er ständig kaputt. Mit großem Glück fand ich einen Hersteller aus den Niederlanden, der mir einen gefederten Rollstuhl sponserte. Damit konnte ich weitermachen – und dann ging es auch ab. Ich flog 2012 nach Los Angeles zum They Will Skate Again Contest und konnte mich erstmals mit anderen Rollstuhl­ Skater*innen messen. Mein fünfter Platz war eine riesige Überraschung.

Ich wurde Dritter in der Rollstuhl­-Kategorie und lernte an einem Tag so viel wie in Jahren nicht. Zurück kam ich top motiviert, mit so vielen neuen Freundschaften und Erfahrungen. Und mit dem Plan, auch in Deutschland Skate­Veranstaltungen für Rollstuhlfahrer*innen zu starten. Umzusetzen war das nicht ganz leicht. Einige Skateparks hatten Angst: Was, wenn sich Rollstuhlfahrer*innen verletzen? Mit dem Deutschen Rollstuhl­Sportverband fing ich an, erste Events zu organisieren, zunächst in Hamburg, Kassel, Dort­ mund. Der nächste Schritt waren regelmäßige offene Treffen. In Hamburg und Dortmund gelang das gut, auch weil mit Björn­Patrick Meyer, mir selbst und mit meiner heutigen Frau Lisa auch regelmäßig Vorbilder am Start waren.

Allmählich entstand eine kleine Szene.

DAS SCHAFFT SELBSTBEWUSSTSEIN, AUCH FÜR DAS RECHT AUF GESELLSCHAFTLICHE TEILHABE.

2016 waren wir an einem Punkt, an dem es auf der einen Seite bereits Weltmeisterschaften gab, seit 2018 dann auch Deutsche Meisterschaften – doch die Inklusion in die Skateszene war noch sehr schwach. In dieser Situation entstand SIT’N’SKATE, erst als formlose Initiative mit dem Ziel, den Zugang zu Skateparks für Rollstuhlfahrer*innen zu erleichtern, ob zum Fahren oder „nur“ zum Zusehen.

So wollten wir auch in die Gesellschaft wirken. Ein Grund für die Diskriminierung von Menschen mit Behinderung besteht ja darin, dass man ihnen wenig zutraut und sie des­ wegen auch nicht mitdenkt. Ein Zehntel der Gesellschaft hat eine Behinderung. Aber wie sieht es in eurem Umfeld aus? Wie auch, wenn man sie versteckt!? Wenn Sit ’n’ Skate Kids im Rollstuhl in die Skateparks bringt, zeigt das, was man mit Rollstühlen machen kann, und macht Menschen mit Behinderungen sichtbarer.

Inzwischen ist aus unserer Idee ein gemeinnütziges Projekt geworden. Mit den offenen Treffen in Hamburg und Dort­mund haben wir zwei fortlaufende Programme. Anderswo bieten wir Events an und hoffen auf eine Verstetigung. Es gibt Ferienangebote und Camps sowie seit diesem Jahr einen inklusiven Skate Jam. „Offen“ sind die Treffen aber erst mal nur für Rollstuhlfahrer*innen. Denn ein Skatepark im Normalbetrieb kann sehr abschreckend wirken, wenn du in deinem Rollstuhl alle Blicke auf dir hast.

Bei diesen Treffen hat man Spaß und wertvolle Erfolgserleb­nisse. Das schafft Selbstbewusstsein, auch für das Recht auf gesellschaftliche Teilhabe. Gerade die Jüngeren – einige Kids sind schon fünf Jahre im Programm – lernen aber auch, ihren Rollstuhl gut zu beherrschen.

Darüber hinaus ergibt sich rund um die Treffen ein Austausch unter den Eltern, auch wir gehen mit diesen in Kontakt. Eltern von Kindern mit Behinderung müssen das Loslassen lernen. Nur so können die Kinder später selbstbestimmt leben.

Mit Sit’n’Skate wollen wir nun weitere norddeutsche Städte bespielen und hoffen auf Hilfe aus der Skateszene. Alle können etwas beitragen: Bietet Events für Menschen mit Behinderung an! Ladet sie ein und motiviert sie zum Mitmachen! Mittlerweile glaube ich nicht mehr, dass wir eine eigene Rollstuhl­Skate­Szene aufbauen sollten. Besser wäre es, wenn sich die Skateboard­, die BMX­ und meinet­wegen auch die Scooter­Szene für die Kids im Rollstuhl öffneten. Denkt Rollstuhlfahrer*innen immer mit – ob bei einem Skatepark, einem Café oder einer Kletterhalle. Die Generation, die wir heute in unseren Skateangeboten haben, wird euch morgen zeigen, dass sie alles schaffen können!

Text: David Lebuser @datlebbe

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