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Pontus Alv – das komplette Interview

Photo: Peter Zapasnik

Pontus Alv sollte man zuhören, im eigenen Interesse. Denn der Schwede, dessen zweiter, gerade erschienener Film „In Search of the Miraculous“ mittlerweile den meisten europäischen Skatern ein Begriff sein sollte, hat etwas zu sagen. Manchmal sogar so viel, dass einfach nicht alle seine Worte es ins Heft schaffen können. Kürzen hat selten so weh getan wie hier, deshalb sind wir froh, Pontus‘ Inside-Out an dieser Stelle in voller Länge präsentieren zu können. Die wunderbare Welt des Pontus Alv, direkt nach dem Klick auf

Mit The Strongest of the Strange hat der Malmö-Local Pontus Alv vor fünf Jahren einen leuchtenden Diamanten des Indie-Skatekinos auf die Welt losgelassen. Sein langerwartetes Nachfolgevideo In Search of the Miraculous hat mittlerweile seine letzte Premiere gefeiert und ist abermals ein einzigartiges Werk. Ungewöhnlichste Spot, ein perfektionistisches und liebevolles Editing, ein grossartiger Soundtrack, ganz persönliche Familienaufnahmen und gleichzeitig den Versuch, den Tod seiner Grosseltern zu verarbeiten – all das vereint In Search of the Miraculous, in kompletter Eigenregie von Pontus produziert. Er hat das Wort.


Photo: insearchofthemiraculous.se

Pontus, hast du den Titel „In Search of the Miraculous“ zufällig gewählt oder interessierst du dich tiefer für die Arbeit von Ouspensky [russ. Philosoph, 1878 – 1947, schrieb das Werk „In Search of the Miraculous“ über George Gurdijeff] und Gurdjieff [russ. Esoteriker u. Autor, 1866 – 1949]?
An meiner Arbeit ist nichts Zufall. Der Titel kam mir zum ersten Mal in den Sinn, als ich das letzte Meisterwerk „In Search of the Miraculous“ meines Helden Bas Jan Ader [niederl. Künstler, Photograph und Filmemacher, 1942 – 1975] studiert habe. Dieses Projekt hat mich sehr berührt und inspiriert. Als ich dann etwas nachgeforscht habe, bin ich auf Gurdjieffs Arbeit gestossen. Aber ehrlich gesagt weiss ich nicht viel über ihn und seine Lehren. Der Titel kam von Bas und ich bin auf dem Weg quasi über Gurdjieff gestolpert.

Wer hat dir geholfen, dein Projekt umzusetzen?
Also, einige Filmer haben Footage beigesteuert, aber etwa 80 Prozent des Streifens habe ich selber gefilmt und das Konzept und Editing kommen auch zu 100 Prozent von mir. Mein Freund Johan hat drei Songs für das Video gemacht. Aber bei einem Film wie diesem hat eigentlich jeder mitgeholfen, der darin vorkommt, weil die Jungs sozusagen für mich skaten und dafür nichts zurückkriegen. Ich bezahle keinen oder gebe ihnen Stuff oder so. Sie skaten, weil sie es wollen und tun es mit ihrem ganzen Herzen. Das ist sehr wichtig für mich, weil das hier eben kein „Hammer Business“-Film ist. Ich kenne all die Leute und habe sie persönlich getroffen. Sie sind meine Freunde oder zumindest gute Menschen, die ich kenne und mag. Ich benutze nur Footage von Leute, die ich mag, das ist eine wichtige Regel für mich.

Glaubst du, dass ein Skatevideo einen höheren Zweck erfüllen kann, als „nur“ Skateboarding zu dokumentieren?
Skateboarding ist viel mehr als nur Tricks, ich möchte alle Aspekte des Lebens zeigen. In meinem Falle mixe ich meine eigene Geschichte und andere Dinge, die mir wichtig sind, mit ein. Wenn du dich schlecht fühlst, dein Herz gebrochen ist oder du deprimiert bist, dann beeinflusst das dein Skaten und die Art und Weise, wie du dich ausdrückst. Warum sollte man also nur Skaten zeigen und nicht all die anderen Dinge des Lebens, die genauso wichtig für unser Skaten sind?

Du hast gesagt, du wolltest ein Video mit Liebe und Emotionen erschaffen. Ist das etwas, was allen anderen Skatevideos fehlt?
Das kann man so nicht sagen, aber manche Video sind einfach nur als Skateboard-Filme voller Hammers gedacht und das funktioniert ja für einige Leute auch. Es interessiert mich auch gar nicht, was diese Leute machen – alles, was mich interessiert, ist, was ich machen will, wie ich mich fühle und wie ich die Dinge sehe. Aber allgemein denke ich, dass Skatevideos ziemlich platt und langweilig sind. Viele davon sehen gleich für mich aus, manchmal gibt es Ausschnitte oder Skater, die mich echt begeistern. Aber ich weiss auch nicht genau, was ich sagen soll, ich verfolge die Industrie und das Skate-Biz nicht mehr. Die neuesten Tricks, Teams, etc; ich kriege ein bisschen was mit aber längst nicht alles. Ist einfach zuviel Information.


Photo: insearchofthemiraculous.se

Gibt es Videos, die du selber gerne guckst?
Einige Fragmente aus Alien-Workshop-Videos können sehr inspirierend sein, und ich geniesse alles von Gonz oder Dennis. Ich gucke meinen alten Lieblingsskatern immer noch sehr gerne zu. Dabei geht‘s gar nicht ums Filme machen, ich liebe einfach pures schönes Skateboarding. Um ehrlich zu sein ist es lange her, dass mich ein Skatevideo richtig gestoked hat, dass ich gesagt habe: „Wow, heilige Scheisse!“ Vielleicht bin ich einfach zu alt und bitter.

Findest du es nicht ein bisschen seltsam, dass dich ungefähr jeder Skater in Europa schon nackt gesehen hat?
Du siehst dich doch jeden Tag nackt, was soll daran seltsam sein? Ihr solltet mal versuchen, öfter nackt zu sein. Geht mal so spazieren und fangt vielleicht mit Schwimmen an.

Der Film beinhaltet eine Menge alter persönlicher Footage, wie z.B. die Familien-Videos auf Super8. Wie kommt‘s, dass du soviel Footage aus dieser Zeit hast und wie hast du sie zusammengesammelt?
Mein Opa und mein Vater haben es geliebt, zu filmen und Photos zu machen, deshalb habe ich Tonnen an Material, es hört nie auf. Ich habe ein endloses Familien-Archiv und ich finde eine Menge Inspiration in diesen alten Filmen und Photos. Ich glaube, unser Archiv fängt etwa im Jahre 1910 an und hört 2006 auf. Meine Familie war immer vernarrt darin, alles zu dokumentieren, was wir so gemacht haben. Ich mag diese Einstellung: Dokumentier etwas, archivier‘ es – und dann vergiss es erstmal für zehn Jahre. Ich glaube daran, dass Dinge besser werden, wenn man sie 10 bis 15 Jahre einfach wegpackt. Ich habe auch eine Menge Negative, irgendwo verstaut, nie gescannt. Die Photos sind in irgendeiner Kiste und warten darauf, ausgepackt zu werden. 2025 fange ich an, ein paar davon zu scannen.

Mit der ganzen, sehr persönlichen Footage in deinem Film, wie hast du dich gefühlt, das fertige Resultat zum ersten Mal wildfremden Leute auf der Premiere zu zeigen?
Es ist immer sehr emotional für mich und manchmal sehr schwer. Für mich bedeutet das alles noch viel mehr und ich habe ein viel tieferes Verständnis von einigen der Bilder. Es bringt viele Erinnerungen und persönliche Belange zurück. Ich bin nicht gerne bei Premieren. Bei „Strongest“ bin ich nur zu der Premiere in Malmö gegangen. Jetzt waren es fünf, aber ich will nicht mehr, ich mag das nicht. Ich mag meinen Filmen und das alles, worum es mir geht. Ich will die Gesichter und Reaktionen anderer Leute darauf gar nicht sehen oder hören. Klar, es ist schön, wenn es den Leuten gefällt, aber es nervt, wenn irgendwelche Leute mit irgendwelchem pseudo-smarten Bullshit über was-auch-immer ankommen. Behaltet eure negative Kritik für euch und geht mir nicht auf die Nerven mit eurem schlechten Geschmack.


Photo: Peter Zapasnik

Möchtest du, dass die Leute dich genau so kennenlernen, wie sie dich im Film sehen?
Ich möchte wirklich, dass meine Filme so persönlich sind, denn wie ich schon gesagt habe, alles in meinem Leben bedeutet mir viel, meine Vergangenheit, meine Familie, meine Geschichte, meine Liebe, Leben, Freunde und so weiter. Wir gehen durch harte wie durch gute Zeiten und alles ist wichtig. Wenn ich auf meinem Board stehe, dann sagt es mir direkt, wie es meiner Seele geht. Ob ich ein gestresstes Gemüt habe oder was-auch-immer. Mein Skateboard lügt nicht, es ist direkt zu mir: „Ach Pontus, dein Herz ist gebrochen oder dein Gehirn ist übergeschnappt…“ und dann gibt es mir Shit dafür oder hilft mir weiter. Mein Skateboard ist ein sehr ehrlicher direkter Typ.

Wie hast du die Skater für das Video ausgewählt?
Sie sind alle gute Menschen, nette Typen und meine Freunde. Ich wähle aber auch nicht wirklich Skater aus, das kommt alles ganz natürlich. Leute kommen nach Malmö und hängen mit mir ab, wir gehen Sessions fahren, die Dinge kommen ins Laufen und wir lernen uns kennen. Nach einer Weile haben dann einige Jungs mehr Footage als andere und irgendwann wird dann richtige Arbeit für einen Part daraus. Aber das heisst nicht, dass wir „arbeiten“ und auf irgendwelche verrückten Missionen gehen – klar, wir gehen auf Skate-Mission, aber das ist sehr entspannt und es gut nur um den Spass und eine gute Zeit. Manchmal gehen wir eigentlich skaten und am Ende essen wir nur Eis und trinken den ganzen Tag Kaffee. Gutes Skaten kommt, wenn es kommt, wenn der Spirit stimmt, der Moment, der Spot und so weiter. Es passiert, wenn‘s passiert und ich pushe oder erzwinge das nicht. Ich mach einfach mit und skate mit den Jungs…

„In Search of the Miraculuos“ zeigt eine ziemlich breite Spanne an Skateboarding auf jedem Terrain. Hast du das Gefühl, das Skater sich heutzutage selber einschränken, indem sie sich auf Tech-Skaten oder Rails oder Pools festlegen und nicht einfach alles fahren?
Ich liebe Skateboarding und ich geniesse es, jede Art von Skaten in jeder Altersklasse zu sehen. Mein Film ist eigentlich ein grosses Selbstportrait meiner Seele. Es ist mir egal, was alle Leute skaten, ich denke einfach, dass es jedem selbst überlassen ist. Wenn du meinst, du müsstest den ganzen Tag Rails fahren, dann mach es solange, wie‘s dir gefällt; ich finde das super. Ich glaube, jeder muss seinen eigenen Weg finden und was zu ihm passt. Es gibt keine Regeln und solange du rollst, ist alles gut. Leben und leben lassen. Eine Sache ist nicht besser als die andere – es ist alles Skateboarding. Und Skateboarding ist grossartig.

In einem Interview hast du gesagt, dass du bei diesen Projekten eigentlich nur Geld verlierst. Warum machst du es trotzdem?
Manche Leute geben 25.000 Euro für ein neues Auto, ich geb‘ das Geld halt für einen Film aus. Wir haben alle andere Lebenswege. Filme machen ist etwas, das ich liebe – und manche Leute lieben eben ein glänzendes neues Auto.


Photo: insearchofthemiraculous.se

Es sind jetzt fünf Jahre vergangen seit „The Strongest of the Strange“. Was sind für dich die grössten Unterschiede zwischen „The Strongest“ und „In Search of the Miraculous“?
Vielleicht war „Strongest“ ein bisschen schwärzer und bitterer und dieser Film ist ein bisschen heller und farbenfroher. Ich mag die Idee, klassische schöne Symbole wie einen Regenbogen, Sterne oder einen Sonnenuntergang zu benutzen. Sie sind wirklich schön, aber gleichzeitig sind sie auch echt harte Klischees. Es ist immer einfacher, den „dunklen“ Weg zu gehen und daraus etwas Interessantes zu machen als etwas Schönes interessant zu machen. Ich mag diese Herausforderung.

Lag nach dem Erfolg von „The Strongest“ nicht ein ziemlicher Druck auf dir?
Es war ziemlich schwer, diesen Film mit dem Erfolg von „Strongest“ im Hinterkopf zu machen – aber wenn es wirklich hart auf hart kommt, dann musst du einfach deinen eigenen Weg gehen. Eine Hauptsache für mich war, nicht noch einen „Strongest“ zu machen. Ich glaube, viele Leute haben das erwartet und vergleichen den neuen Film mit „Strongest“ und ich denke, das sollten sie eigentlich gar nicht. Ich möchte zwar, dass die Filme irgendwie verbunden sind, aber trotzdem als eigene Werke für sich stehen. Zwei Teile mit einer Brücke dazwischen.

John Dahlquist hat geschrieben, dass „In Search of the Miraculuos“ ein sehr persönliches Motiv hat, nämlich den Tod deiner geliebten Grosseltern. Hat dir das Arbeiten an dem Film, die Fertigstellung und schliesslich das Präsentieren geholfen, mit dieser persönlichen Tragödie besser umzugehen?
Der Tod gehört zum Leben dazu, wenn du stirbst, weil du alt bist, dann ist das keine Tragödie, es ist total normal und natürlich. Wenn du stirbst, wenn du noch jung bist, dann ist es eine echte Tragödie. Das Leben ist endlich und die Zeit, die dir bleibt, ist kurz. Das ist der Motor des Lebens. Wir müssen leben, weil wir sterben werden. Mit diesem Film sage ich „Auf Wiedersehen“ zu Märta und Bengt Alv. Ich habe viel Zeit mit ihnen verbracht, bevor ihre Zeit um war. Es war eine schöne Art und Weise, sie auf ihren letzten Schritten im Leben zu begleiten.

Das Motiv des Etwas-Verlierens tritt immer wieder in deiner Arbeit auf, beispielsweise mit dem Kreuz, was einerseits für Tod und Vergänglichkeit, andererseits für Leben und Hoffnung steht. Deine Arbeit wirkt hin und her gerissen zwischen Pessimismus à la „Das Leben ist nur temporär“ und optimistischen Botschaften wie „Mach das Meiste daraus“. Bist du eher Optimist oder Pessimist?
Ich bin Realist. Und Optimist. Wir werden in unserem Leben eine Menge Dinge verlieren, aber im selben Moment, in dem wir etwas verlieren, kann etwas neues geboren werden. Zum Beispiel wurde unser Steppe Side Bowl in einer Nacht von ein paar obdachlosen Menschen dem Erdboden gleich gemacht. Ja, das war scheisse, aber es hat uns auch dazu gebracht, im Leben weiterzumachen und was neues zu bauen. Dabei rausgekommen ist der Sibbarp Skatepark. Dann haben wir TBS gebaut und dieses Jahr machen wir auf dem Steppe Side Areal weiter. Wenn du etwas verlierst, und wenn es nur die Lust an einer bestimmten Sache ist, dann bringt dich das dazu, weiterzugehen. Das ist gut. Schöne Ding sind nicht von Dauer. Und auch der beste Spot wird nach einer Weile langweilig. Ich bin immer auf der Suche nach mehr und ich will immer mehr aus dem Leben herausholen. Das gibt mir das Gefühl, am Leben zu sein. Ich lebe. Ich bin nicht tot.

Du sagtest, du würdest als nächstes an einem Buch arbeiten wollen. Wovon wird es handeln?
Ich glaube nicht, dass das noch passiert. Mein Plan war, eine Photobuch mit Insider-Geschichten und Interviews im Zusammenhang mit „Strongest“ und „Miraculous“ zu machen. Über die Leute, die mitgeholfen haben, die Skate-Szene von Malmö, etc. Aber ich glaube nicht, dass das jetzt der richtige Zeitpunkt ist. Vielleicht kann ich so ein Buch 2030 oder 2040 machen. Jetzt gerade ist in meinem Kopf zuviel los, zuviele Ideen, die ich vorher ausprobieren will. Dialoge zwischen totem Material, können tote Dinge lebendig sein?
Gute Nacht.

–alv

Pontus‘ Film „In Search of the Miraculous“, T-Shirts und Photos aus dem Film findet ihr zum echten Freundschaftspreis auf seiner Webseite.


Photo: Peter Zapasnik

Philipp Schulte

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