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Sergej Vutuc – Skateboarding in Fukushima

Es ist nun drei Jahre her, dass die Erdplatten im japanischen Meer sich zu bewegen begannen und so eine Eruption erzeugten. Es liegt in der Natur und dem überheblichen Wesen des Menschen, die Natur beherrschen zu wollen, doch wie so oft, wurden wir auch in Japan eines Besseren belehrt. Es ist schwer über Fakten zu reden, was genau war und über das was heute ist. Welche regionalen und globalen Auswirkungen die atomare Fukushima-Katastrophe langfristig haben wird, darüber kann die Öffentlichkeit nur spekulieren. Doch man kann nachschauen wie es jetzt ist, dort zu leben. Sergej Vutuc hat trotz seiner Angst vor diesen Auswirkungen Tokyo für seine Ausstellung und die Fukushima-Gegend besucht, um zu fotografieren wie Menschen auf Skateboards mit dieser lebensfeindlichen Situation umgehen.

Den kompletten Artikel dazu findet ihr in unserer aktuellen Ausgabe. Ergänzend dazu haben wir hier Interviews mit Takahiro Morita, Laurence Keefe und Maru, die Sergej auf seiner Reise getroffen hat.

Shintaro Maruyama a.k.a. MARU

 

Maru ist Pro Skater für Evisen Skateboards und gleichzeitg Shopbesitzer.  Außerdem ist er direkter Betroffener des Tsunamis, der seine Heimatstadt Sendai heimgesucht hat, die sich kaum mehr als 120 Kilometer entfernt vom Kraftwerk in Fukushima befindet. Er war auch der Erste, der sich nach der Katastrophe dorthin getraut hat um zu skaten.

Maru, du kommst ursprünglich aus einer Gegend, die sehr nahe bei Fukushima liegt. Als vor drei Jahren der Tsunami kam, warst du gerade in Tokyo, später bist du nach Sendai zurück, der Stadt die aufgrund des angrenzenden Waldes und der Autobahn vom Tsunami verschont blieb. Wann genau bist du denn zurück nach Sendai, und vor allem, wie sah die Stadt aus?
Ich war in Tokyo und hatte ein Meeting mit ein paar Dudes wegen einem Skate Event. Als das Erdbeben kam, brach erst mal alles zusammen. Züge, Autobahnen, Flüge, alles. Ich konnte erst drei Tage nach dem Erdbeben zurück nach Sendai. Ich fragte einen Freund der ein Auto besitzt. Wir sind dann zusammen zurückgefahren. Normalerweise braucht man für diese Strecke etwa vier Stunden, diesmal waren wir 20 Stunden unterwegs. Ständig mussten wir diese riesigen Risse in der Strasse umfahren. Ich hab erstmal geheult als ich hörte, dass es meiner gesamten Familie gut geht.

Warst du auf eine solche Situation und auf die Wirkung von nuklearen Kräften vorbereitet? Wie du mal erwähnt hast, war deine Frau ein Grund dafür, zurück in die Stadt zu kommen. Heute habt ihr ein Baby zusammen. Wusstest du damals bereits, dass du ein werdender Familienvater bist?
Ich war auf nichts vorbereitet. Ich konnte mir nicht mal vorstellen, dass so etwas jemals passieren würde. Meine Tochter wurde vor der Katastrophe geboren, sie war zu diesem Zeitpunkt bereits ein Jahr alt. Wir dachten zuerst, dass wir wegziehen werden, aber als wir über das niedrige Ausmaß der Strahlung erfuhren haben wir letztendlich doch beschloßen, hier zu bleiben, gleichzeitig aber auch sehr vorsichtig zu sein, was Essen und anderes angeht.

Ich glaube dass es für eine Menge Menschen ausserhalb von Japan nur sehr schwer vorzustellen ist, mit all diesen Auswirkungen der Strahlung zu leben. Aber du warst einer der ersten Skater die dort unterwegs waren um zu skaten. Gab es auch negative Reaktionen dafür, wenn du da auf Spotsuche warst?
Diese Frage ist einfach zu hart. Es gibt Leute, die da immer noch versuchen zu leben. Ich könnte mir das ganze vielleicht auch nicht vorstellen, wenn ich weit weg leben würde von dem ganzen Scheiß. Ich weiss auch nicht, warum ich zum skaten dorthin gegangen bin. Vielleicht wollte ich auch einfach nicht verzweifeln. Deswegen bin ich die Spots dann auch wie gewöhnlich gefahren.

Takahiro Morita:

 

Takahiro ist eine der zentralsten Figuren im japanischen Skateobarding. Er hat das FESN Netzwerk gegründet, bahnbrechende Videos veröffentlicht, einen ganz eigenen Stil des Skatens entwickelt und ein Gastboard bei Magenta erhalten, fÜr deren Video er auch einen Part geschnitten hat. Ein älterer Part von ihm, hat sich bereits schon einmal mit dem Thema Atomkraft bzw. Atomwaffen beschäftigt. Sergej hat ihn dazu befragt.

Morita, deine Skateparts und Videos arbeiten viel mit Metaphern und Botschaften, vom einfachen „Keep Pushing“ bis zu Ausschnitten aus den Medien. Wie betrachtest du die Auswirkungen von Atomkraft und der tragischen japanischen Geschichte damit, auf das Leben und Skaten in Japan?
Atomkraft – Nicht gut. Zu viel.
Japanische Geschichte – Nicht gut. Atomwaffen. Zu viel.
Japanisches Skateboarding – So gut. Für die Zukunft.

„Skaters must be united“ ist einer deiner wichtigsten Slogans, die du pushst. Woher stammt der und was wünschst du dir?
Das ist für mich und alle meine Freunde der wichtigste Slogan. Wir hoffen auf eine friedliche Welt. Ich weiß nicht, warum die Konflikte nie enden wollen. Ich habe darüber schon seit ich ein Kind war viel nachgedacht. Die Atombomben, die auf Hiroshima und Nagasaki geworfen wurden, waren ein eindeutiger Appell an die japanische Bevölkerung und die ganze Welt, endlich mit den Kriegen aufzuhören. Wir müssen versuchen die Atomkraft ganz loszuwerden, bevor wir gegen Kraftwerke protestieren. Wir Menschen können solch immense Energie nicht kontrollieren. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem wir innehalten und nachdenken müssen. Wir müssen erkennen, dass manche auf der Freiheit anderer herumtrampeln um ihre Gier zu befriedigen. Wir können nicht nur an die momentan lebenden Menschen denken. Wir müssen unsere Gier bekämpfen. Wir müssen auch für diejenigen kämpfen, die noch in diese Welt kommen werden oder die, die ihr Leben zur Gänze gelebt haben. Sie alle sind immer in dir. Deine Angst breitet sich aus und ängstigt andere. Skateboarding war ein hervorragendes mentales Training für mich. Wenn du Treppen springst, Rails fährst oder vor Leuten fährst… es ist egal ob du gut bist oder nicht. Skateboarding hilft dir dich selbst zu überwinden. Man hat Spaß daran, wie sich seine Fähigkeiten vermehren. Ich würde mir wünschen alle Menschen würden ihre Mordwerkzeuge loswerden und Skateboards in die Hand nehmen, um die Welt zu verändern. Meine Videoparts sind meine Botschaft. Aber diese Botschaft gehört nicht nur mir. Ich lerne viel durch Sessions mit meinen Freunden. Jedes Mal wenn ich Streetskate, kommen ganz überraschend Ideen von oben auf mich herab. Man kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass mein Skateboarding von oben geleitet wird. Mein Skateboarden ist heilig und etwas sehr magisches.

Laurence Keefe

 

Während für die vom Tsunami und der radioaktiven Katastrophe betroffenen Menschen in Japan ihre Heimat zerstört ist, hat sich der Engländer Laurence Keefe freiwillig in die Nähe des Krisengebiets begeben. Er ist ein Wanderer mit dem Skateboard und hat Sergej Vutuc den Blick eines Zugereisten auf die Verhältnisse vor Ort gegeben.

Laurence, du wurdest in England geboren und bist durch viele Skatetrips schon in unzähligen Ländern gewesen. Du hast einige Zeit in Barcelona gelebt und bist irgendwann nach Japan gezogen. Als du dorthin gezogen bist war diese traurige Geschichte in Fukushima schon passiert. Hat das deinen Umzug in Japan in irgendeiner Weise beeinflusst?
Ich bin vier Tage vor dem Erdbeben in Japan angekommen. Ich kam geradewegs von einem Skatetrip durch Süd-Ost-Asien wieder und beschloss mir einen Job in Japan zu suchen und dort ’ne Weile zu bleiben. Das Erdbeben selbst war dann eine ziemlich verrückte Überraschung, aber ich hatte keine Ahnung über das Ausmaß der Katastrophe, bis zum Zeitpunkt als ich den Fernseher anschaltete und sah, dass es die Top Story auf BBC ist. Ich wog dann selbst ab ob ich bleiben oder wieder gehen sollte, aber das Visum dass ich zu der Zeit Zuhause liegen hatte war quasi eine einmalige Gelegenheit, deswegen bin ich dann geblieben und hab es durchgestanden. Das war auf jeden Fall eine ziemlich stressige Zeit, aber ich habe in Japan andererseits so viele tolle und großartige Erfahrungen sammeln dürfen, dass ich echt froh bin, letztendlich geblieben zu sein.

Ich habe kroatische Freunde die ebenfalls dort leben, und die haben gesagt, dass sie seitdem so gut es geht keine Lebensmittel mehr aus Japan kaufen. Wie handhabst du das?
Es ist sehr schwierig einzuschätzen, welche Auswirkungen die Radioaktivität dort eigentlich hat. Manchmal mache ich mir deswegen Sorgen und vermeide es dann, Meeresfrüchte zu essen und Leitungswasser zu trinken. Aber ehrlich gesagt musst du ja auch manchmal einfach das Leben genießen und in solchen Momenten denke ich mir dann einfach „fuck it“ und zieh mir Sushi rein. Es gibt keinerlei Zweifel daran, dass man den japanischen Medien und der Regierung in Bezug auf ihre Aussagen was die Sicherheit von japanischen Meeresfrüchten angeht nicht trauen kann. Die haben kürzlich sogar ein neues Gesetz erlassen das es verbietet, jegliche Informationen bezüglich der Strahlung durchsickern zu lassen. Auf der anderen Seite aber übertreibt die westliche Medienwelt ebenso. Die Fukushima-Katastrophe wird dort als Alptraum und Beginn der Apokalypse dargestellt, jegliche wissenschaftliche Fakten werden dabei aber komplett außer Acht gelassen. Fakt ist, dass hier noch niemand aufgrund der Strahlung gestorben ist, wo allerdings viele Suizide begangen wurde nachdem die Leute gezwungen wurden, ihre Häuser zu evakuieren und ihren Lebensraum zurückzulassen.

Diese Verwirrung rund um alle Information, dieses ganze Vertuschen, das führt doch dazu, dass man mehr denn je für sich selbst eine Lebensentscheidung treffen muss. Du sagtest ja bereits „enjoy life… fuck it“. Japan hat atomtechnisch gesehen ja sowieso schon eine traurige Geschichte, die sich irgendwie wiederholt, erst im Süden in Nagasaki, und dann in Hiroshima. Aber alles wurde immer wieder aufgebaut. Nun also Fukushima. Wird da auch wieder alles aufgebaut?
Die Wahrheit ist dass keiner so genau weiß, welche Auswirkung die Strahlung auf uns haben wird. Die Sache ist aber die, dass ich dir auf der Stelle eine Menge Dinge aufzählen kann, die mein Leben sicherlich auch um Jahre verkürzen können, wie beispielsweise jede Nacht saufen, nicht genug schlafen oder sich von nichts anderem ernähren als Bier und frittiertem Hähnchen. [lacht] Um ehrlich zu sein glaube ich, dass Skateboarding meinen Körper mehr ruiniert als jede Strahlung. Aber ich skate ja immer noch, nicht wahr?

In diesem Artikel geht es viel um das Thema Fukushima und die Auswirkungen von Radioaktivität auf das Leben. Wie ist ist es für deine Familie und deine Freunde? Ich hab gesehen dass du erst kürzlich Guide für einen Skater aus Europa warst…
Eine der schlimmsten Dinge daran hier zu sein ist die Tatsache, wie sich die Familie und die Freunde um einen sorgen… Manche Leute machen sich keinen Kopf, aber andere wiederum schicken mir Artikel darüber wie tot ich in den nächsten 30 Jahren sein werde. Das macht mich in manchen Momenten etwas fertig und ängstlich bis ich schließlich wieder in meinen Tag starte und dann im Alltag einfach all das vergesse. Irgendwie fühle ich mich aber auch schuldig, dass sich andere Leute den Kopf zerbrechen, nur weil ich hier bin.

Mit Visual Travelling hast du auf dem Skateboard schon viele Länder rund um die Welt bereist, dennoch hast du immer noch Schwierigkeiten einen Boardsponsor zu finden. Ich hoffe dass sich das mit diesem Artikel jetzt ändert…
Wenn du einmal um die ganze Welt reist merkst du schnell, wie abgefuckt dieser ganze Planet ist und du lernst schnell zu schätzen, was du hast. Es ist immer einfach die positiven Dinge zu sehen wenn man etwas hat, dass man damit vergleichen kann. Bei allen Problemen die es hier in Japan gibt, ist es immer noch einer der saubersten Orte, wo dich niemand auf der Strasse verletzen oder ausrauben will. Die Leute begegnen sich hier mit Respekt, es gibt keinen Terrorismus und (neben der möglichen Strahlenvergiftung) ist das Essen hier sauber und gesund. Eine Kehrseite des Ganzen ist, dass man immer alleine herumreist, nie Teil eines soliden Teams ist und keinen Boardsponsor hat. Aber das ist eigentlich nicht wichtig. FTC hilft mir was meine Boards angeht und ich würde ja auch nicht ein Teil von diesem ganzen visualtraveling Ding sein, wenn ich nicht selbst irgendwo hinreisen würde! Anyway, ich kann mich nicht beschweren!

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